Ritterburg und Pommes Schlacht!
Zwei bewegungsfreudige Jungs und zwei kulturbegeisterte Mütter: Eine herausfordernde Mischung für gemeinsame Ferien. Unsere Idee: Südfrankreich! Und zwar die Ritterstadt Carcassonne, der historische Schauplatz des Lieblingsspiels unserer Sprösslinge.
Holzfiguren, genaue Lagepläne, hinterhältig geplante Feldzüge, mutige Ritter und eine uneinnehmbare Festung im Mittelalter: So funktioniert gepaart mit reichlich Fantasie das bekannte Brett-Spiel „Carcassonne“. Seit mein 8-jähriger Sohn Ben weiß, dass es diese Stadt wirklich gibt, will er unbedingt dahin. „Aber dann müssen wir natürlich auch in einem richtigen Schloss wohnen“, ist Bens Bedingung. Gesagt getan. Gemeinsam mit seinem Freund Colin (9) und dessen Mama machen wir uns also auf den Weg ins südfranzösische Languedoc. Das ist das malerische Department, in dem unter anderem auch die mittelalterliche Festung Carcassonne liegt. Wir entscheiden uns für einen Trip in der Nachsaison, da sich im Juli/August die meisten der mehr als 3 Millionen jährlichen Besucher durch die Festungsstadt schieben. Kein Wunder, denn die Stadt ist Unesco-Weltkulturerbe und gehört zu den am meisten besuchten Sehenswürdigkeiten in Frankreich.
„Mama, pass auf. Da ist ein kleiner Hund auf dem Weg“, ruft Ben vom Rücksitz des Mietwagens zu mir nach vorne. Und tatsächlich kommt ein kleiner Dackel ganz entspannt auf einem Kiesweg auf uns zugetrottet. Endlich sind wir vom Flughafen Toulouse angekommen in unserem Schloss, dem Chateau Villarlong, idyllisch mitten in den Weinbergen gelegen. Und gleich hinter „Brunch“ – so heißt der kleine Dackel – kommt schon die Hausherrin Ursula Jerusalem-Sasse und begrüßt uns herzlich. Das ist ja ein toller Empfang. Das jahrhundertealte Chateau ist kein Luxusressort, sondern bietet 14 individuell eingerichtete Ferienwohnungen, die Familien mit Kindern reichlich Platz bieten. „Habt ihr schon den Pool gesehen?“, ruft Colin begeistert. „Das sieht ja aus wie wenn das Wasser direkt in die Landschaft fließt“. Der Pool ist auf einem Plateau und der Ausblick erinnert in seiner Anmutung ein bisschen an Afrika. Auch die Einrichtung der Wohnungen hat einen afrikanischen Einschlag. „Viele Möbel und Accessoires habe ich aus Namibia mitgebracht und hier wild miteinander kombiniert“, erklärt uns Ursula Jerusalem-Sasse, die Schlossherrin. Aber jetzt wollen die Jungs erst mal die Gegend erkunden und ziehen los. Die Kinder können hier nach Herzenslust spielen und toben. „Es gibt unterirdische Gänge, einen alten westgotischen Tempel und verfallene Mauerreste, einen Weinberg und eine kleine alte Kirche“, erzählt Frau Sasse stolz. Geschichte pur! „Die Kinder lieben die Freiheit, die sie hier haben“, schwärmt sie. „Wenn Sie mögen, gibt es ab 20 Uhr Abendessen“, ergänzt sie. Natürlich kann auch selbst gekocht werden, aber in Frankreich wollen wir selbstverständlich die vielgelobte Küche ausprobieren. Bei Meeresfrüchtesalat, Lamm aus dem Ofen und Creme Brülee schmelzen wir dahin, aber kulinarische Experimente werden von unseren Söhnen kategorisch abgelehnt. Aber die Küche ist auf Kinder eingestellt und zaubert extra eine große Portion Spagetti. „Aber morgen möchte ich so gerne Pommes essen, Mama, geht das?“ fragt Ben. Peinlich berührt frage ich vorsichtig in der Küche nach, ob das wohl möglich wäre und werde mit einem freundlichen „pas de problem“ verabschiedet.
Nach soviel Entdecken, Erkunden und Spielen, steht am nächsten Tag das ersehnte Sightseeing auf dem Programm. Carcassonne liegt nur 30 Autominuten entfernt. Die Stadt präsentiert sich ihren Besuchern wie man sich eine mittelalterliche Festung vorstellt und auch Walt Disney war so fasziniert, dass er sie als Vorlage für seinen Zeichentrickfilm „Schneewittchen“ benutzte. „Wow, was für ´ne Mega-Burg“, schwärmt Ben. Die Vorstellung die ganze Burg-Kulisse des Lieblingsspiels mal in „echt“ zu sehen, hat mehr Überzeugungskraft, als unser Anpreisen der mittelalterlichen Stadt. „Echt cool“, findet auch Colin, der am liebsten gleich den Burgherrn spielen möchte. Aber wir sind zu einer Führung verabredet und unser kompetenter Guide Sebastian wartet schon auf uns. „Bonjour in Carcassonne“, begrüsst er uns freundlich und schiebt uns gleich durch den Tour de Narbonnaise. „Mein Deutsch ist leider nicht so gut, aber zusammen mit Englisch werden wir uns schon verständigen können“, erklärt er. Wir machen das obligatorische Bild am Eingang der Festung und Sebastian beginnt schon zu erzählen. Dass Carcassonne im 6. Jahrhundert vor Christus von den Kelten gegründet wurde. Später eroberten dann die Westgoten die Stadt und im 8. Jahrhundert die Araber.
Dem Grafen Trencavel verdankt Carcassonne schließlich sein Chateau Comtal, das Schloss ganz oben auf dem Hügel der Stadt. Er ließ auch die Befestigungen verstärken, eine zweite Ringmauer errichten und baute die Stadt zum wichtigen Militärstützpunkt an Frankreichs Südgrenze aus. „Ich brauche unbedingt ein Schwert“, ruft Ben bestimmt und fuchtelt schon mit einem Stock in den schmalen Schießscharten herum. Die Kinder hören gespannt den Erzählungen unseres Führers zu und können sich doch kaum vorstellen wie das Leben im Mittelalter hier war. Wir laufen an der Burgmauer entlang und Ben entdeckt eine große Öffnung an einem Turm: „Wurde von hier Pech auf die Soldaten geschüttet?“, will er wissen. „Gute Idee“, meint Sebastian. „Aber nein, es war kein Pech, sondern Asche. Da in den Gräben kein Wasser war, wurde ganz viel Asche hinuntergekippt, die dann in die Augen und Nasen der Soldaten landete und sie kampfunfähig machten. Nach einer Stunde voller spannender Geschichten, Namen und Zahlen lässt die Aufmerksamkeit der Jungs merklich nach und wir entscheiden uns für eine kleine Mittagspause. Wir schlendern durch die schmalen Gassen und kehren in einem kleinen Bistro, dass zum Glück auch Pommes auf der Karte hat. „Darf ich jetzt ein neues Schwert?“, quengelt Ben und ist schon mit Colin im nächsten Spielzeuggeschäft. Die beiden fuchteln wild herum und kreuzen die gekauften Klingen wie beim Ritterturnier. „Gibt es denn hier kein echtes Ritterturnier?“, will Colin wissen. „Eigentlich schon. Aber leider nicht jetzt“, ist die enttäuschende Antwort. Denn die filmreifen Ritterspiele „Grand Tournoi de Chevalerie“ finden nur im Juli/August statt. Schade. Aber gleichzeitig ein guter Grund wiederzukommen.
Schnell noch ein Eis auf die Hand und rein in die Bimmelbahn „Petit Train“. Der zuckelt in zwanzig Minuten gemütlich um die Cité und erklärt mit praktischen Headsets in fast perfektem deutsch noch mal kurz und knapp die Geschichte.
Die nächsten Tage verbummeln wir entspannt am Pool des Chateau Villarlong, trinken den hauseigenen Wein und genießen das „savoire vivre“. Die Jungs spielen verstecken, sammeln Stöcker und Steine und erkunden immer neue spannende Spielorte auf dem riesigen Schlossgelände. Animation ist hier nicht nötig. Im Schuppen haben die beiden einen Ball gefunden und nun ist Fußball angesagt. Am liebsten würden sie das Chateau gar nicht mehr verlassen und sind nur schwer zu weiteren Ausflügen zu bewegen. Mit einem Besuch im Dinosaurier-Museum in Espéraza bekommen die Mütter dann doch volle Aufmerksamkeit und die kleinen Ritter sind begeistert von den bis zu 8 Meter langen Skeletten des Tyrannosaurus Rex. Auch eine Bootsfahrt auf dem Canal du Midi gehört natürlich zum Sightseeing-Programm. Im Yachthafen in Homps besteigen wir das Boot „St. Ferrol“ und schippern entlang an Platanenalleen, an unzähligen Fahrradfahrern vorbei und überwinden auch einige Schleusen. „Das geht aber langsam“, stellt Ben fest. Das ist hier eben Entschleunigung! Wir bewundern die zahlreichen Hausboote, die im Schneckentempo dahintreiben. „Für die 145 Kilometer von hier bis Toulouse braucht man fast eine Woche“, erläutert uns der Bootsführer und wir sind uns einig, dass das die Geduld von uns allen dann doch überstrapazieren würde.
Wir könnten uns an das Landleben auf Chateau Villarlong echt gewöhnen, aber leider sind nach einer Woche Pommes-Schlacht und Ritterspielen unsere Ferien zu Ende. Unsere Gastgeberin verabschiedet uns traurig und wir versprechen, bald wiederzukommen. Und die beiden – sonst so coolen Jungs – können sich kaum von Dackel Brunch und „ihrem Schloss“ trennen. „Mama, wenn ich groß bin will ich auch mal Schlossherr sein“, meint Ben. Und alle lachen.