Eine Flusspferd-Mutter badet mit ihrem Kalb. Zwei Krokodile kämpfen im Brackwasser. Elchbullen ziehen durchs Unterholz. Ein Eisbär verharrt witternd inmitten fallender Schneeflocken. Jede dieser Szenen wirkt so lebensecht, als hätte Christiane Rauert mit ihrer Kamera in Afrika, Skandinavien oder der Arktis auf der Lauer gelegen. Entstanden sind ihre Fotos aber in Moorwäldern und Torfstichen, auf überschwemmten Wiesen oder am Loisach- und Seeufer in Oberbayern; alle Models sind Spielzeug-Tiere, also originalgetreue Nachbildungen im Miniaturformat.
„Kleine wilde Tiere“ nennt die freiberufliche Grafik-Designerin deshalb folgerichtig ihr erstes Buch, mit dem sie eine „fotografische Reise an fantastische Orte“ unternahm. „Alles fing mit urtümlich aussehenden Pflanzen an, die mir beim Spazierengehen am Wegesrand aufgefallen waren“, erinnert sich die Wahl-Münchnerin, die ihren Hauptwohnsitz im Tölzer Land hat. „Sie entpuppten sich als Schachtelhalme, die es schon vor Millionen Jahren gab. Die spontane Idee war, Dinosaurier-Spielfiguren zwischen diese sogenannten ‚lebenden Fossilien‘ zu stellen, sodass sie wie in einem prähistorischen Urwald wirkten.“ Fotos mit anderen Spiel-Tieren in der heimischen Natur folgten – erst mit dem Smartphone, dann mit einer extra neu angeschafften Kamera.
„Es war wie ein Sog“, erklärt Christiane Rauert, die sich immer mehr Miniatur-Tiere besorgte, um auch für diese die jeweils passenden Schauplätze zu suchen und finden. Egal ob auf Moospolstern und ausgetrockneten Parkplätzen, zwischen Farnen, Blättern sowie Ästen oder in Kieshaufen und Tümpeln – roter Faden war immer, dass das winzig Kleine durch die veränderte Perspektive lebensgroß wirken sollte. Sogar ausgefallene Wünsche gingen in Erfüllung: Als für die Aufnahmen eines Eisbären die Winterkulisse fehlte, fiel über Nacht überraschend Schnee und verwandelte das Dach von Christiane Rauerts Auto mit einer weichen, weißen Schicht in die perfekte Foto-Location.
Aus hunderten ihrer Fotos traf sie schließlich eine Auswahl und gestaltete auf 80 Seiten mit knapp 100 Abbildungen von 30 Tierarten ein stimmiges Buch im Format 22 x 15 cm. Dazu schrieb sie die erklärenden Texte und ließ Ende 2020 die erste limitierte Test-Auflage digital drucken, die bei kleinen und großen Lesern sehr gut ankam. Im Sommer 2021 gab sie als Selfpublisher die zweite, nun zweisprachige Auflage in Deutsch und Englisch heraus – diesmal im Offsetdruck mit Fadenheftung und einer Widmung für ihren Enkel Otto, der im März 2021 zur Welt kam. Zwei Nachfolge-Bände sind bereits in Vorbereitung – auch sie wieder eine „Einladung an Kinder und Erwachsene, sich in ihrer näheren Umgebung genauer umzusehen“: Tümpel, Gräben, Hügel, kleine Höhlen – für Christiane Rauert waren das als Kind verwunschene Spielplätze. Heute dienen ihr solche Orte als unkonventionelle Foto-Kulisse für ein liebevolles Bilderbuch-Projekt.