Lust auf lässigen Luxus!
Mit kritischem Blick erkennen sie in gehobenen Hotels Dinge, die für andere Gäste unsichtbar bleiben: Architektin Regine Geibel und Innenarchitektin Maren Böttcher. Wir haben mit den Herausgeberinnen des neuen Online Magazins AN ARCHITECTURAL LIFE ein spannendes Interview über stimmige Atmosphäre, Soft Skills, veränderte Bedürfnisse, unverwechselbare Profile, absolute No-Gos und eine lange Liste an Lieblingsfehlern in Hotels geführt.
Als (Innen-)Architektinnen haben Sie einen besonders geschulten, kritischen Blick und viele Vergleichsmöglichkeiten. Was zeichnet ein Hotel aus, dass Ihnen rundum gefällt?
Regine Geibel: In allererster Linie die Atmosphäre. Ich bin der Meinung, dass man es spüren kann, wenn ein Hotel mit Freude und Leidenschaft geführt wird. Das wirkt sich auf alle Mitarbeiter, die Energy und gesamte Stimmung im Haus aus. Dann sind auch alle Bemühungen um das Wohl der Gäste authentisch und dadurch angenehm statt aufgesetzt und übertrieben.
Welche Rolle spielen dabei Architektur und Innenarchitektur?
Maren Böttcher: Architektur und Innenarchitektur sollten genau diesen Spirit unterstreichen und zum einen zum Gesamtkonzept, zum anderen zur Region passen. Grundsätzlich ist der klassische alte Luxus mit polierten Marmoroberflächen, glänzendem Messing und lackierten Hölzern passé. Bei kürzeren Aufenthalten in Grandhotels in der Stadt kann dies noch sehr elegant sein, aber im Urlaub möchten die Menschen – auch auf vier und fünf Sterne-Niveau – inzwischen eher lässigeren Luxus, sog. barefoot luxury.
Wie oft kommt es vor, dass für Sie in einem Hotel alles stimmig zusammenpasst?
Maren Böttcher: Wenn ich eines meiner kritischen Innenarchitektin-Augen im Koffer lassen könnte, käme es sicher häufiger vor. Soll heißen, dass für die allermeisten Gäste Dinge, die wir sehen, glücklicherweise unsichtbar bleiben. Aber ich behaupte, dass sie es irgendwie doch spüren, wenn zu viel nicht stimmt. Grundsätzlich schade ist immer, wenn die stark frequentierten Bereiche sehr gut hergerichtet sind, aber Flure, Treppenhäuser oder allgemeine Toiletten vom Niveau her nicht dazu passen. Das ist eine unkluge Strategie und ärgert auch den Laien, weil er sich getäuscht fühlt.
Welche Fehler sind besonders gängig und fallen Ihnen unangenehm auf?
Regine Geibel: Ich habe eine lange Liste von Lieblingsfehlern. Deswegen schreibe ich auf AN ARCHITECTURAL LIFE eine Kolumne mit dem Namen „One night stand“. Denn diese Fehler erfordern eine baldige Abreise ;-). Aber um einen herauszugreifen: Mühsam sind fehlende Haken und Ablageflächen an Orten, an denen man mit mehreren Dingen bepackt ist wie im Spa. Fehlende Haken für Handtücher und Bademäntel direkt neben der Sauna-Tür zum Beispiel. Ebenso Duschen ohne Tür beziehungsweise Gemeinschaftsduschen im Spa. Ich möchte niemandem bei seiner Körperreinigung zuschauen…
Welche Fauxpas können Sie verzeihen, welche sind für Sie ein absolutes No-Go?
Regine Geibel: Von anderen wird am häufigsten die schlechte Bedienbarkeit der Beleuchtung im Zimmer bemängelt. Das kann ich nachvollziehen, allerdings gibt es hierfür auf dem Markt noch nicht die ideale Lösung. Ein absolutes No-Go für mich sind hingegen die völlig unnötig unter die Matratze gestopften Bettdecken, wie man es in Südeuropa häufig erlebt. Hat man diese endlich raus gezerrt, ist das Laken mit draußen und muss wieder hineingesteckt werden, ohne dabei einen Fingernagel zu verlieren. Leider merkt sich das kein Housekeeping-Mitarbeiter, sodass dieses Spiel jeden Tag aufs Neue beginnt…
Brauchen Hotels fachliche Beratung für gutes Styling und gelungenes Ambiente?
Maren Böttcher: Bei einem Neubau auf jeden Fall! Ein Hotel ist ein komplexes Gebäude mit vielen verschiedenen Funktionen, die alle unterschiedliche Anforderungen an Beleuchtung, Akustik, Möblierung, Fußbodenbelag etc. haben. Kein Hotelier sollte je versuchen, das alleine zu stemmen… In einem bestehenden Hotel liegt das Problem häufig darin, dass der Inhaber den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, weil er jeden Tag im Haus verbringt. Schief sitzende Lampenschirme, beschädigte Dinge oder Pflanzen, die die besten Tage hinter sich haben, sind Beispiele für Kleinigkeiten, die Unbehagen hervorrufen. Kein Hotelier sollte befürchten, dass wir Berater sofort alles erneuern wollen. Wenn ihm das jemand rät, sollte er einen anderen beauftragen 😉 Oft reichen einige gezielte Maßnahmen, um wieder gut dazustehen.
Was können User von Hotel-Empfehlungen nach einem „sehr emotionalen Bewertungssystem“ auf AN ARCHITECTURAL LIFE erwarten?
Regine Geibel: Wir haben bisher an die 40 Hotels im gehobenen Segment genau angeschaut. Dabei konnten wir feststellen, dass sich die Bedürfnisse in den letzten 20 Jahren sehr geändert haben. Früher ging es viel häufiger um Prestige und das Zeigen dessen, was man hat. Das hat nachgelassen – zumindest in den Häusern, die wir für die Präsentation auf AN ARCHITECTURAL LIFE in Erwägung ziehen. Dafür sind die Ansprüche an die so genannten Soft Skills gewachsen. Heute – und das mitnichten erst seit Corona – geht es darum, viel Raum für wenige Gäste und viel Zeit für sich selbst zu haben, beziehungsweise Angebote und Service-Leistungen geboten zu bekommen, die das unterstützen. Wichtig ist auch, unter den anderen Gästen Gleichgesinnte zu erkennen, in deren Gesellschaft man sich wohl fühlt. Außerdem zählen die Aspekte eines umweltschonenden Betriebs wie die Nutzung regionaler Lebensmittel für die Küche nach dem Motto “From farm to table“ oder ganzheitliches „From Nose to Tale“. Relevant sind auch Flexibilität bezüglich der inzwischen stark verbreiteten Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie bei Gluten und Angebote für Vorlieben wie vegane oder vegetarische Ernährung. Sehr beliebt sind Handcrafted-Gegenstände, am besten von Manufakturen aus der Umgebung, die man dann auch erwerben kann, um zu Hause an den herrlichen Urlaub erinnert zu werden oder sie lieben Freunden mitzubringen. Das Gefühl, dabei noch etwas Gutes zu tun, hinterlässt ein positives Gefühl beim Gast… Deswegen haben wir Kriterien entwickelt, die diese emotionalen und weichen Faktoren erfassen.
(Innen-)Architektur ist wechselnden Trends unterworfen. Müssen Hotels immer am Puls der Zeit sein, also jede Entwicklung mitmachen?
Maren Böttcher: Nein, auf keinen Fall. Ein Hotel sollte viel eher schauen, dass es ein eigenes Gesicht, ein eigenes Profil besitzt, welches in sich stimmig ist. Das ist das Allerwichtigste. Wenn man in hochwertige Oberflächen und hochwertige Produkte investiert, die beim Altern noch schöner werden, kann man durchaus lange Abstände zwischen den notwendigen Fresh Ups haben. Ich selbst finde es auch immer schön, wenn sich die Region, in der sich das Hotel befindet, dezent im Interieur wieder spiegelt. Es ist doch schade, wenn ich einem ländlichen Hotel im alpinen Raum ein zwar stylisches, aber austauschbares Interior verpasse, das es genauso in Berlin oder Barcelona geben könnte.
Global agierende Ketten mit einem einheitlichen Gesicht und inhabergeführte, persönliche geprägte Häuser – besteht die Gefahr, dass die „Großen“ die „Kleinen“ verdrängen? Oder haben beide ihre Berechtigung und Chancen, auf dem Markt zu bestehen?
Regine Geibel: Aus meiner Sicht besteht diese Gefahr nicht. Dafür gibt es zu viele verschiedene Bedürfnisse und Anlässe. Im gesamten Business-Bereich sehe ich Ketten wie zum Beispiel Motel One als prima Lösung. Im Holiday–Bereich geht der Trend eher zu kleineren, inhabergeführten Häusern, da durch die Pandemie das Bedürfnis nach Vertrauen und menschlicher „Nähe“ gewachsen ist…