Charme, Chalets & Käse
Châtel und Le Grand Bornand heißen zwei abwechslungsreiche Wintersportorte in der französischen Region Haute-Savoie. Skifahren ohne Grenzen ist hier genauso möglich wie Schlemmen oder Ausprobieren ungewöhnlicher Disziplinen von Biathlon bis Véloski. Und für Familien ist es auch perfekt geeignet.
Skifahren in Frankreich? In diesem Fall denken Deutsche automatisch an die Trois Vallées, die als das größte zusammenhängende Skigebiet der Welt gelten. Oder den Espace Killy mit bekannten Orten wie dem hoch gelegenen, modernen Tignes oder Val d‘Isère. Einheimischen geht es anders. Viele Franzosen sind ihre ersten Bögen von Châtel gefahren, als sie dort mit ihrer Schulklasse in einer so genannten „colonie de vacances“ waren. Als Erwachsene kehren sie nicht selten mit den eigenen Kindern zurück zu ihren Anfängen. Grund ist ein abwechslungsreiches Skigebiet mit allerlei Besonderheiten: Von vier Talstationen führen längere Sessellifte und Gondeln auf Höhen bis zu 2.200 Meter, so dass es selten Gedränge gibt. Oben angekommen, überschreitet die Pisten im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen: Auf Skiern gleiten wir in Richtung Morgins unproblematisch in die benachbarte Schweiz oder schaukeln hinüber nach Avoriaz. Denn Châtel gehört zu einem binationalen Verbund namens Portes du Soleil, in dem man mit einem Skipass 196 Liftanlagen benutzen und 286 Pisten in zwölf Orten befahren kann.
Schmankerl unterwegs sind für uns Fernblicke über schneebedeckte Gipfel hinweg bis zum Genfer See sowie Montblanc und Einkehrmöglichkeiten von rustikalen Hütten mit flackerndem Kaminfeuer wie La Ferme des Pistes bis zum schicken L‘Escale an der Bergstation der Kabinenbahn Super-Châtel, wo wir auf der Sonnenterrasse Tartiflette (mit Reblochon-Käse überbackene Kartoffeln) und Salat mit Speckwürfeln, Ziegenkäse und Honigdressing schlemmen. Für Nervenkitzel sorgt ein Smoothpark mit Kickers, Rails und Slideboxes von Größe S bis XL, ein 1,2 Kilometer langer Flying Fox namens Fantasticable, an dem man mit bis zu 100 km/h über ein tief eingeschnittenes Tal saust oder Snake Gliss – eine lange Schlange aneinander hängender Schlitten als Après Ski-Spaß für Gruppen. Châtel hat aber auch abseits der Pisten seinen eigenen Charme: Das kleine Museum La Vieille Douane erinnert an Zeiten, als Schmuggler illegal Salz, Kaffee, Tabak oder Schokolade über die nahe Grenze brachten und dabei von Zöllnern verfolgt worden, deren Langlauf-Ausbildung ein amüsanter Film aus den 50er Jahren zeigt. Am Mittwochmorgen reihen sich unterhalb der Kirche appetitliche Markstände mit regionalen Produkten aneinander, die es ansonsten auch in mehreren, kleinen Geschäften zu probieren und kaufen gibt.
Wo und wie Abondance-Käse produziert wird, lernen wir auf dem Hof von Familie David kennen. 800 Liter Milch geben ihre 42 Kühe täglich; diese verarbeitet von Bäuerin Corinne zu neun Käselaiben, die 100 Tage bei 12 °C auf Holzregalen reifen und dabei 50 Mal abgebürstet und gedreht werden – während der kalten Monate auf dem Hof bei Châtel, im Sommer auf einer sieben Kilometer entfernten Alm. Diese Form traditioneller Landwirtschaft ist neben dem Wintersport immer noch ein wichtiges wirtschaftliches Standbein im Ort: Betriebe werden von Generation zu Generation weitervererbt; architektonisch hat das Aussehen der Bauernhöfe mit ihren flachen Satteldächern und dunklen Holzwänden fast alle Bauten beeinflusst. Eine der wenigen Ausnahmen ist das moderne Schwimmbad Forme D‘O: Seit Sommer 2014 kann man in dem puristischen Sichtbeton-Gebäude sowie unter freiem Himmel in Edelstahlbecken mit 31 °C warmem Wasser seine Bahnen ziehen, im Espace Océane drei Saunen und zwei Hammams genießen oder sich im Spa verwöhnen lassen.
Der Bezug zur Tradition wird auch in Le Grand Bornand betont, das rund zwei Autostunden weiter Richtung Südwesten in der gleichen Region Haute-Savoie liegt: Auf 1.000 Meter Höhe kuschelt sich das Dorf am Fuß der bis zu 2.750 Meter hohen Aravis-Bergkette ins Tal; fünf Kilometer und einige Serpentinen-Kurven weiter oben ist der Ortsteil Chinaillon unmittelbar ins Skigebiet eingebettet. Über beide verstreut liegen mehr als 400 Chalets, die 200 Jahre und älter sind. Zum Teil werden sie noch immer als Bauernhöfe mit insgesamt rund 2.000 Kühen bewirtschaftet, zum Teil – in einigen Fällen luxuriös renoviert und erweitert – an Gäste vermietet. Die jüngsten können sich auf dem sanft abfallenden Plateau Du Rosay, wo sie ein 201 Meter langer, komplett überdachter Zauberteppich wieder nach oben transportiert, ganz gefahrlos mit dem Wintersport anfreunden. Geübtere haben ihren Spaß auf 46 Pisten von tiefschwarzen Buckelabhängen bis zu blauen Wohlfühl-Abfahrten, die insgesamt 84 Kilometer lang sind und von 29 Lifte erschlossen werden. Wagemutigere wie meine Tochter probieren sich unter dem Motto „Freestyle für alle“ im Snowpark über dem Maroly-Tal aus. Anschließend stärken wir uns gemeinsam auf 1.800 Metern in der stylischen Hütte Les Terres Rouges mit Panoramablick auf die gezackte Gipfelkette Chaîne des Aravis mit Spinatquiche, Mousse au Chocolat und karamellisierter Tarte Tatin.
Alpin Skifahren ist nicht die einzige Möglichkeit, das abwechslungsreiche Gebiet zu erkunden. Véloski nennt sich die Alternative, die wir unter Anleitung von Skilehrer Jef austesten: Statt Rädern hat das Gefährt hinten und vorne zwei kurze Bretter, darüber sitzen wir auf einem Sattel, steuern mit einem Lenker und dosieren das Tempo mit einer kräftigen Fußbremse, die es nur bei diesem Modell gibt. Die ersten Meter fühlen sich noch recht wacklig an. Aber mit der Zeit lernen wir, die Balance besser zu halten, immer schneller dahin zu gleiten und sogar kleine Kurven zu fahren. Noch herausfordernder ist eine weitere Wintersport-Variante: Biathlon. Bei dieser Disziplin geht es darum, erst eine Strecke auf Langlaufskiern zu absolvieren und dann hochkonzentriert zu schießen. Profis beherrschen das aus einer Distanz von 50 Metern.
Wir als Neueinsteiger haben bei einem Probetraining im Stadion schon aus einem Drittel der Entfernung Probleme, unsere 4,5 Kilo schweren Karabiner ruhig zu halten und mit kleinen Bleikugeln die Zielscheibe zu treffen. Bei unserem Lehrer Alexis, der das seit seiner Kindheit praktiziert, sieht alles ganz mühelos aus. Wir hingegen müssen uns erst mit der Kombination aus körperlicher Anstrengung, Abbremsen, still halten, Zielen und Schießen anfreunden, bevor wir diese Abfolge nach zwei Stunden Üben ganz passabel schaffen. Nach diesem Schnuppertraining wird unsere Bewunderung für Biathleten noch größer sein. Die besten treffen sich vom 12. bis 17.12.2017 beim Weltcup in Le Grand Bornand, für den große Tribünen aufgebaut und tausende von Zuschauern erwartet werden. Eine weitere Werbeträgerin ist Skirennläuferin Tessa Worley, die mit sieben in den örtlichen Skiclub eintrat, noch immer Mitglied ist, heute ganz oben an der internationalen Spitze fährt und hübscher Hingucker auf aushängenden Plakaten ist.
Vielen Dank an die Region Chatel – Le Grand Bornard für die freundliche Unterstützung dieser Reise.