Die kleine Anna möchte NICHT
aus dem Småland abgeholt werden!
Schweden zum ersten Mal! Schweden – das ist für die 11-jährige Anna vor allem ein Möbelhaus mit einer lustigen Kinderbetreuung, die sie vorzugsweise im Alter von drei bis sechs Jahren gerne besuchte, während Mama und Papa nach Küchen, Sofas, Lampen oder einer Vase Aussschau hielten. Bis ein Ausruf durch den Lautsprecher des Möbelgeschäftes drang: „Die kleine Anna möchte bitte aus dem Småland abgeholt werden!“
Dieses Småland soll es nun in echt geben, nicht nur als Name eines Kindergartens im Möbelhaus, sondern in Wirklichkeit: In Schweden. In dem Land, wo Elche auf der Straße laufen und blonde Kinder mit Preiselbeerverschmierten Mündern durch unendliche Wälder hüpfen, sich Trolle hinter Steinen verstecken und das freieste und glücklichste Mädchen der Welt- Pippi Langstrumpf- in der Villa Kunterbunt lebt. Ein Land das so weit entfernt und märchenhaft klingt wie: „Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen…“
Dieses Småland, das echte, das wollen wir entdecken. Mutter und Tochter. Die Mutter aus Nostalgie, auf der Suche nach ihren Kindheitsträumen, die Tochter aus Neugierde, ob es all das wirklich gibt. Nicht nur im Fernsehen.
Das Abenteuer Schweden beginnt erst mal in Dänemark. Etwas verwirrend für Anna, dass wir am Flughafen der Dänischen Hauptstadt landen um nach Schweden zu fahren. Doch das Småland liegt in Südschweden und ist von Kopenhagen aus am einfachsten zu erreichen. So nähern wir uns dem Seefahrerland, wie es sich gehört: Von Dänemark über die Meerenge, den Öresund, hinüber nach Schweden. Direkt vom Flughafen Kopenhagen-Kastrup aus, fährt der Öresundzug über die weltweit längste Schrägseilbrücke nach Malmö. „Das Licht. Mama, das Licht ist hier so anders. Es ist alles so klar!“, ist der erste Aufschrei, den Anna von sich gibt, als wir aus dem Bahnhofsgebäude in Malmö heraustreten. Mit dem Mietwagen sind wir nun auf uns gestellt. Drei Stunden Fahrt sind es zu unserem ersten Ziel. In Richtung Jönköping. Für Anna vergehen sie wie im Fluge, wobei sie die vorbeiziehende Landschaft mit weiteren Ausrufen wie:“ Schau mal, die Bauernhöfe schauen hier ja aus wie bei Peterson und Findus!“ oder alternativ: “ Das ist ja alles hier wie bei Nils Holgersson!“ kommentiert. Die Überraschung ist perfekt: Ein Gebell aus 20 Hundekehlen schallt uns entgegen, als wir bei der Husky-Farm Nysteds Husky Tur und Natur abbiegen. Anna ist begeistert. Sie läuft sofort ins Gehege der kleinen Hundewelpen, die sie von oben bis unten abschlecken. Davor steht schon der Hundeschlitten, eingespannt mit acht jaulenden und bellenden Huskys, die nur darauf warten uns auf einer wilden Fahrt durch die Wälder, rund um die Farm zu ziehen. Auch ohne Schnee. Im Wald erwartet uns die Crew der Huskyfarm am Lagerfeuer, mit frisch gebrühtem Kaffee und Blaubeerkuchen. Am Ende dieses ersten Erlebnisses fällt uns bereits schwer uns von den süßen Hunden zu verabschieden und zu unserem ersten Quartiert nach Bunn weiterzufahren. Dort liegt unsere erste Unterkunft: Das neu eröffnete Designhotel Bauergarden direkt am See Bunnsjö. Inmitten einer magischen Landschaft, in die der schwedische Nationalmaler John Bauer einst seine verwunschenen Trolle und Wichtel hineinzauberte. Eines dieser zauberhaften Bilder hängt im Saunahäuschen am Ufer des Sees und inspiriert uns zu einer traumhaften Gute-Nacht-Geschichte.
Zuckersüß, so beginnt der nächste Tag. Die kleine Stadt Gränna, die mit ihren bunten Holzhäuschen selbst wie aus Zuckerbäckerhand gemacht scheint, ist in ganz Schweden berühmt für rot-weiße Zuckerstangen, namens „Polkagris“. Ein Paradies für Schleckermäuler ist der Laden der traditionellen Grena Polkagriskokeri. Rosarote, himmelblaue, zitronengelbe, grasgrüne Zuckerstangen und Bonbons. Wohin man schaut. Daneben ein Durchblick in die Küche, wo junge Burschen in anstrengender Handarbeit das Essig-Zuckerwasser formen, ziehen und zu den bunten Stangen drehen, genauso wie es in diesem Laden seit 200 Jahren Tradition ist. Natürlich naschen wir bis die Plomben wackeln und kaufen allerlei süße Mitbringsel für die Daheimgebliebenen.
Jeder Spaziergang in der idyllischen Kleinstadt endet früher oder später unten am Hafen am Ufer des Vättern, des zweitgrößten Sees Schwedens. Hier wartet schon die Fähre nach Visingsö, der historisch interessanten Insel mitten im Vätternsee. Der Legende nach soll sie entstanden sein, als der Riese Vist ein großes Grasbüschel in den See warf, damit seine Frau trockenen Fußes über den großen Teich kam. Tatsächlich befand sich hier im Mittelalter das Machtzentrum Schwedens. Heute zeugt davon nur noch die Ruine der Festung Visingsborg aus dem frühen 18.Jahrhundert. Seit jenen Zeiten hat sich auch das Fortbewegungsmittel auf der Insel nicht geändert: „Remmalag“ heißt die für Passagiere umgebaute Pferdefuhre, die uns umweltfreundlich und gemächlich rund um die Insel fährt. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein bei Astrid Lindgrens Geschichten von Bullerbü und Saltkrokan, so unwirklich lieblich und nett sind sie anzusehen, die kleinen roten Häuschen inmitten bunter Blumengärten, die romanische Kirche in Kumlaby, die Dorfschule und der Hofladen des Persgarden, im dichten Eichenwald, der im 19.Jahrhundert angepflanzt und Holz für die schwedische Flotte liefern sollte. Dass das alles echt ist und keine Kulisse, wird uns klar als wir vom Pferdekutscher erfahren, dass auch heute noch 700 Einwohner auf Visingsö leben.
Typisch schwedische Wellness erleben wir am Abend: nach dem Abendessen im Hotel Ullige schwitzen wir in der Sauna des romantischen Herrenhofhotels und springen anschließend vom Steg, kreischend in die kühlen Fluten des Wixensees. Die Mitternachtssonne scheint dazu. Annas steter Wunsch nach Elch erfüllt sich gleich am nächsten Morgen. Bei der Fahrt in Richtung der Region Kronoberg geht es immer gerade aus durch dichte Wälder- und da steht er, unglaublich riesig, mitten auf der Straße- der König des Waldes. Was für ein Zufall! Denn obwohl in Schweden über 200 000 Elche leben und ein Exemplar bis zu 800 Kilo auf die Waage bringt, zeigt sich Europas größte Hirschart den Menschen nur selten. Zum Glück aber auch, dass er schnell wieder in den tiefen des Waldes verschwunden ist, denn in Schweden zählen Auffahrunfälle mit Elchen zu den häufigsten und gefährlichsten, vor allem in der Morgen-und Abenddämmerung. Eine sichere und haunahe Begegnung verspricht da ein Elchpark, von dem es einige im Småland gibt. Zum Beispiel der Grönasens Älgpark, wo Anna Elch Bruno sogar mit frischen Weidenzweigen füttern und streicheln darf. Ihr Kommentar:“ Der hat ja ein ganz weiches Geweih!“
Den letzten Tag verbringen wir im Land von Ingrid Olsson. Sie ist die Eigentümerin von Getnö Gard am See Asnen. Über 1000 Hektar Land und Seen nennt sie ihr eigen, teilt es aber mit ihren Gästen. Bei ihr kann man campen oder ein Ferienhaus mieten, wandern, Kanu fahren oder Fischen. Bewaffnet mit Angel und Windjacke, setzten wir uns zu ihr ins Fischerboot. Als dann bei Anna plötzlich etwas anbeißt, traut sie ihren Augen nicht: Ein riesiger Hecht! Der erste, selbstgefangene Fisch ihres Lebens! Wir lassen ihn frei. Schließlich sind wir im Småland, dem Land wo die Welt noch in Ordnung ist und in dem man am liebsten für immer bleiben möchte. Natürlich auch Anna: „Nein, Mama, bitte, ich will nicht aus dem Småland abgeholt werden!“