Das kleine Geheimnis
Vor der Küste der berühmten Sand-Algarve bezaubert die einsame Insel Culatra. Hier gibt es kaum Touristen, keine Hotels, aber traumhafte Strände, unberührte Natur und viele Fischer. Unsere Autorin Adrienne Friedlaender hat sich auf der Mini-Insel ungesehen und war begeistert.
Manuel sieht aus wie die portugiesische Antwort auf Richard Gere: grau melierte wellige Haare, strahlend blaue Augen, drei Tag Bart. So sitzt der Fischer mit seinen Kollegen zum Mittagessen auf der Terrasse der kleinen Bar. Brotkörbe, Rotweingläser und ein dutzend Bierflaschen stehen auf dem Tisch. Hier trinkt man portugiesisches Bier: Sagres oder Super Bock. Manuel füllt aus einer Plastikwasserflasche großzügig selbstgebrannten Medronho in ein Wasserglas, den traditionellen portugiesischen Obstschnaps. Er zwinkert seinen Kollegen zu: „Auf das unsere Frauen keine Witwen werden!“ Dann leert er das Glas mit einem Zug.
Nach einer langen Nacht auf dem Meer genießen die Fischer auf der Insel Culatra vor der portugisischen Algarve-Küste ihren Feierabend. Sie trinken auf ihren Fang und darauf, dass sie wieder einmal heil nach Hause zurückgekehrt sind. Im Inneren der Bar läuft der Fernseher. Bundesliga. „Dortmund ist keine schlechte Mannschaft“, sagt der junge Raphael und fügt sofort lachend hinzu: „Aber natürlich nicht so gut wie Benfica Lissabon´! Raphael kennt sich gut aus. Beim Fischen wie beim Fußball. Denn viel mehr ist nicht los auf der kleinen Insel.
Weite flache Dünenstrände und verträumte Badebuchten mit pittoresken Felsformationen sind die Markenzeichen der Algarve und ziehen Gäste aus aller Welt an: zum Schwimmen und Sonnen, Biken und Wandern, Golfspielen und Genießen. Aber es gibt es noch immer ein paar Orte, die kaum ein Tourist gesehen hat. Wo es weder Hotels noch Pensionen gibt und die Menschen lieber über Fische und Fußball reden, statt über Feriengäste. Zu diesen Orten gehört Culatra. Eine von fünf kleinen Inseln im Ria Formosa-Nationalpark. Das Naturschutzgebiet umfasst eine 60 Kilometer lange Lagunenlandschaft entlang der Ostküste der Algarve. Culatra ist, sozusagen, Sand-Algarve im Kleinformat. Aber ohne Tourismus. Auf acht Kilometer Länge erstrecken sich wilde Dünen und flache Sandstrände, die sanft ins türkisglitzernde Meer abfallen. Auch heute sind bei strahlendem Sonnenschein kaum Menschen am Strand. Nur ein paar Kinder planschen im Wasser. Eine Frau liegt mit einer Zeitschrift auf einer einsamen Liege und ein Hund trottet gemächlich durch die Dünen.
Nur wenige Portugal-Urlauber haben von der kleinen Fischerinsel gehört. Es scheint, Culatra ist das am besten gehütete Geheimnis der Algarve. Bis heute verweigert sich das kleine Eiland erfolgreich dem Tourismus, ist fest in den Händen der Einheimischen und gilt noch immer als absoluter Insider-Tipp. Nur im Sommer mischen sich auf der Fähre von Olhão ein paar Gäste mit Badetaschen unter die Frauen, die mit ihren prall mit Gemüse und Obst gefüllten Taschen vom Markt in Olhão zurückkehren. Andere Insel-Besucher lassen sich für ein paar Euro vom Wassertaxi übersetzten. Vorbei an Sandbänken, Austern und Muscheln bis zum kleinen Fischereihafen.
Tagesgäste kommen auf die Insel, um ein paar Stunden abseits des Trubels der quirligen Ferienorte zu genießen. Sie kommen zum Sonnen und Baden und um am menschenleeren Strand entspannt Wind und Wellen zu lauschen. Und vielleicht später, bei einem Teller frisch gegrillter Sardinen auch den Gesprächen der Fischer. Die treffen sich gegen Mittag regelmäßig zum Essen, nachdem sie den Fang der letzten Nacht in ihren kleinen Booten an Land gebracht haben. Für die Fischer sind Gäste eine willkommene Abwechslung. Gern trinken sie ein Bier oder einen Medronho mit den Fremden, erzählen vom Fischer- und Inselleben.
Auf Culatra gibt es weder Hotels, noch Pensionen. Auch keine Shoppingcenter, Pommesbuden, Fastfood-Ketten oder Autos. Nur einen kleinen Supermarkt für den täglichen Bedarf und eine Handvoll kleiner Bars. Schmale Steinwege führen durch die Reihen bunter Fischerhäusern mit kleinen Gärten voller leuchtend gelber Ginsterbüsche, üppiger Bougainvillea und Zitronenbäumen. An einer der Häuser hängt ein Schild: Aqui vive un Pescador. Hier lebt ein Fischer.
Vor dem Haus sitzt auf einer blau gestrichenen Steinmauer und im Schatten einer Palme Carlos Boneca. Er hat den Sonnenhut tief in das braun gegerbte Gesicht gezogen. Seine Hände sind von Meer, Wind und Arbeit gezeichnet. Mit schwieligen Fingern zündet er sich eine Zigarette an und steckt sie in den zahnlosen Mundwinkel. Er genießt die warme Sonne nach den langen feuchtkalten Stunden auf See. Carlos ist auf Culatra geboren und hat hier vor der Küste sein ganzes Leben lang die Netze aus dem Meer gezogen – so wie fast alle Männer, die hier auf dem kleinen Eiland leben. Versonnen betrachtet er seine Kollegen, die in der Bar gegenüber ihren Feierabend genießen. Denn für Carlos war heute der letzte Arbeitstag auf dem Meer. Nach 52 Jahren geht er in den Ruhestand.
Nach einem herrlichen Tag am Strand entschließe ich mich spontan bis zum nächsten Tag auf der Insel zu bleiben und mache mich auf die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Und das funktioniert keineswegs wie gewohnt über die Tourismusinformation, oder gar über das Internet, sondern nur über die Inseltrommel. Raphael, der Dortmund-Fan, hat gehört, dass Tante Gisela jemanden kennt, der seine kleine Wohnung ab und zu an Gäste vermietet. Auf geht´s den schmalen Plattenweg hinunter zum Supermarkt, in dem Gisela arbeitet. Sie lässt alles stehen und liegen, eilt voraus durch die Gassen bis zu einem gelben Fischerhaus. Unter dem Dach ist eine kleine gemütliche Wohnung. Die Vermieterin freut sich. Ein kleiner Nebenverdienst ist immer willkommen.
Die letzte Fähre macht sich auf den Weg zurück zum Festland. Auf der ruhigen Insel wird es noch ruhiger. Zum Abend mischt sich der Geruch von Meer und Salz wieder mit dem Duft von gegrilltem Fisch. Ein paar Fischer verweilen noch in der Bar. Wir trinken einen letzten Medronho auf das friedliche Inselleben, bevor sich die kleine Bar schon sehr früh leert. Die Nächte sind kurz auf Culatra. Schon wenige Stunden nach Mitternacht werden die Fischer wieder aufs Meer hinaus fahren.
Carlos wird zum ersten Mal bis zum Morgen schlafen. Später wird er in die kleine Bar gehen, um seine Kollegen zu treffen, mit ihnen fachsimpeln über Fische und Fang und er wird ihren Erzählungen lauschen von der einsamen Nacht auf dem Meer.