+
Multitalent Tessin
Egal ob Flaneur, Landschafts-Liebhaber oder Fan von Outdoor-Aktivitäten: Das Tessin hat auf kurzen Distanzen eine abwechslungsreiche Bandbreite für Familien zu bieten. Außerdem punktet dieser Teil der Schweiz mit italienischem Lebensgefühl. Unsere Autorin Antoinette Schmelter-Kaiser hat in Lugano und Umgebung lohnende Tipps zusammengetragen – zu Fuß, mit dem Schiff oder Zahnrad- und Standseilbahnen.
Hohe Berge, verzweigte Seen, lebendige Städte, historische Dörfer, Traum-Vegetation mit Kamelien, Palmen und Jasmin, mildes mediterranes Klima– das Tessin hat auf kurzen Distanzen eine abwechslungsreiche Bandbreite zu bieten. Südlich der Alpen gelegen, punktet diese Region außerdem mit italienisch anmutendem Dolce Vita auf gepflegtem Schweizer Niveau. Landschaftsliebhaber kommen hier genauso auf ihre Kosten wie Fans von Outdoor-Aktivitäten wie Mountainbiken und Wandern oder Flaneure, die ein Faible für gepflegte Uferpromenaden und schicke Einkaufsstraßen haben. Einziger Wermutstropfen ist das Preisniveau. Da der Verdienst in der Schweiz deutlich über deutschen Löhnen liegt, zahlen Einheimische ohne mit der Wimper zu zucken 20 Franken für eine Pizza. Bei weniger finanzstarken Gästen belastet dieses hohe Level das Urlaubsbudget.
1. Lugano
Dabei sein ist alles: Unter diesem Motto scheint Lugano zu stehen. Denn die 62.000-Einwohner-Stadt ist in vielerlei Hinsicht Dreh- und Angelpunkt des Tessins: Nach Zürich und Genf ist sie der drittwichtigste Finanzplatz der Schweiz. Entsprechend viele Banken sind vertreten. Dazu kommen Handels- und Medienunternehmen oder die Universität der italienischen Schweiz. Dicht an dicht drängen sich deshalb Geschäfts- und Wohngebäude, jede Baulücke wird – wie in Monaco – genutzt und in die Höhe bebaut. Lugano kann aber auch anders. Perfekt für Flaneure ist der Fußweg vom Stadtteil „Paradiso“ bis ins Zentrum, immer am Lago di Lugano und gepflegten Gartenanlagen entlang. Eyecatcher auf Höhe des Giardino Belvedere ist das Kulturzentrum LAC – Lugano Arte e Cultura – mit Avantgarde-Architektur und einem Angebot von Klassik über Kunst bis Theater. Erste Adresse für schickes Shopping ist die autofreie Via Nassa mit stylishen Bekleidungs-, Schmuck-, Schuh- und Uhrengeschäften entlang der Laubengänge. An sie schließen sich schmale Altstadt-Gassen rund um die belebte Piazza Riforma an. Lust auf eine andere Fortbewegungsart als Pflastertreten? Vor dem Casino kann man rote Vintage-Tretboote ausleihen und mit ihnen Lugano von der Wasserseite aus erleben. Auf zwei Gipfel in Stadtnähe geht es mit Standseilbahnen: Eine fährt in zwölf Minuten von Paradiso auf den Monte San Salvatore, der mit seinen 912 Metern auch Zuckerhut des Tessins genannt wird und Luganos Wahrzeichen ist. Die andere überwindet die 1,6 Kilometer lange Strecke zum Monte Brè und dem gleichnamigen Dörfchen in zwei Streckenabschnitten.
2. Gandria & Morcote
Kontrastprogramm zum geschäftigen Stadtleben gibt es Gandria. Unterhalb der Via Cantonale, die rund zehn Autominuten von Lugano hierher führt, liegt das 200 Einwohner-Fischerörtchen umgeben von Olivenhainen an einem steilen Hang zum See. Mit seinen alten Häusern und verwinkelten Gassen wirkt Gandria wie aus der Zeit gefallen. Das touristische Angebot ist mit einer knappen Handvoll Restaurants und Bars recht übersichtlich. Gandrias Charme macht sein romantisch-ruhiges Ambiente von anno dazumal aus; bei Sonnenuntergang begeistert der Blick in Richtung Italien, wo sich die Silhouetten der Berge wie Theaterkulissen hintereinander schieben und im Wasser spiegeln. Öffentliche Parkplätze am Rand der Durchgangsstraße sind rar. Alternative ist ein längerer Spaziergang von Lugano über Castagnola auf dem Sentiero di Gandria, außerdem halten in Gandria Ausflugsboote.
Die steuern – genauso wie der Postbus – auch das Dorf Morcote an, das an einem anderen Seitenarm des in mehrere Täler ragenden Lago di Lugano liegt. Gegenüber der Anlege- und Haltestelle säumen pastellfarbene Fassaden, Cafés und Restaurants die Riva da Sant Antoni. Darüber thront am Ende eines Kreuzwegs mit 400 Stufen die Renaissance-Wallfahrtskirche Santa Maria del Sasso, zu der ein Monumentalfriedhof mit Ausblick auf den Lago di Lugano gehört. Zu ihren Füßen ließ ein reicher Textilhändler Anfang des 20. Jahrhunderts den Parco Scherrer mit Tempeln, Teehaus und subtropischen Pflanzen von Bambus bis zu Palmen anlegen. Aus gutem Grund wurde Morcote 2016 zum schönsten Dorf der Schweiz gewählt. Als besonderen Clou hat ein junges Tessiner Paar auch Morcote in Corona-Zeiten als Standort für sein Projekt „Swing the World“ ausgewählt: Nahe der Kirche haben sie eine XXL-Holzschaukel aufgestellt, auf der man mit Blick auf den Lago di Lugano in den Tessiner Himmel schwingen kann.
3. Monte Generoso
Ein Spagat zwischen Vergangenheit und Moderne wird auf dem Monte Generoso gewagt: Ab Capolago kämpft sich eine Schmalspur-Zahnradbahn aus den 1950er Jahren, deren Vorgänger schon 1890 fuhren, neun Kilometer lang steil bergauf bis auf 1.704 Meter. Als Bergstation dient dort seit 2017 die „Steinblume“ des Star-Architekten Mario Botta: ein unkonventionell geformtes Gebäude aus Stahlbeton und grauem Stein mit bodentiefen Panorama-Fenstern in alle Himmelsrichtungen, das eine begehrte Location für Events und Feiern ist. Zu Fuß geht es in einer Viertelstunde zum Gipfelkreuz, um das herum im Sommer eine Ziegenherde weidet. Noch geländegängiger sind wilde Gämse, deren Sprünge und Balanceakte man mit etwas Glück an den schwindelerregenden Steilhängen beobachten kann. Gar nicht sattsehen kann man sich außerdem am Weitblick aus der Vogelperspektive, der von den Alpen über den Luganer See ganz weit unten bis in die Mailänder Poebene reicht. Den Abstieg bis zur Mittelstation begleiten eine sattgrüne Gebirgslandschaft mit vereinzelten Almen und Informationstafeln zu Fauna und Flora auf dem Monte Generoso.
4. Montagnola
„Ein tief durchschattetes Gewühl dichter Baumwipfel, Palmen, Zedern, Kastanien, Judasbaum, Blutbuche, Eukalyptus, durchklettert von Schlingpflanzen, Lianen, Glyzinien. Über der Baumschwärze schimmerten blassspiegelnd die großen blechernen Blätter der Sommermagnolien, riesige schneeweiße Blüten dazwischen halbgeschlossen, groß wie Menschenköpfe, bleich wie Mond und Elfenbein, von denen durchdringend und beschwingt ein inniger Zitronenduft herüberkam“. So poetisch beschrieb Hermann Hesse in seiner Erzählung „Klingsors Garten“ die Umgebung der Casa Camuzzi in der kleinen Ortschaft Montagnola, wo er von 1919 bis 1931 lebte. In der Torre Camuzzi erinnert heute ein Museum an das Leben und Werk des berühmten deutschen Schriftstellers. Vor einem Fenster mit Blick ins Grüne steht seine nostalgische Schreibmaschine, in Vitrinen liegen persönliche Gegenstände wie seine Nickelbrille, sepiafarbene Fotos von Familie und Freunden oder ein benutzter Malkasten. Denn Herrmann Hesse verewigte seine Wahlheimat auch mit Pinsel und Pastellkreiden auf Papier. Zu seinen Lieblingsorten auf der Collina d’Oro, dem „Goldenen Hügel“, führt ein ausgeschilderter Rundweg in zwei Varianten – vorbei an noblen Villen und durch üppig-mediterrane Vegetation. Schön zum Einkehren ist der Grotto del Cavic: ein uriges Lokal, auf dessen schattiger Terrasse typische Tessiner Antipasti, Polenta mit Steinpilzen und Gegrilltes zu Wein aus Keramikbechern serviert werden.
5. Weg der Wunder
„Weg der Wunder“ klingt nach spektakulären Attraktionen. Die erwarten Wanderer auf der 6,5 Kilometer langen Rundtour ab Novaggio zwar nicht, dafür aber dichte Buchenwälder, plätschernde Wasserläufe, Wiesen mit Glöckchen tragenden Schafen oder Bau- und Bergwerke, die an die Vergangenheit der Gegend erinnern. Zum Beispiel versteckte Stollen, in denen nach (Edel-)Metalle gesucht wurde, die Burgruine von Miglieglia, deren meterdicke, moos- und efeubewachsene Mauern wahrscheinlich aus der Römerzeit stammen, oder die Hammerschmiede in Malcantone, an deren Wänden wie Kunstwerke arrangierte Werkzeuge von früher hängen. Nebenan werden in einem kleinen Grotto Kaffee, kühle Getränke wie Rosmarin-Limonade und kleine Leckereien von hausgemachtem Eis bis zu selbstgebackenen Cantucci verkauft; Bilderbuch-Blickfang ist ein Wasserfall, der unablässig über Felsen in ein natürliches Becken rauscht und den kristallklaren Gebirgsbach Magliasina speist. Ihm flussabwärts folgend, geht es zunächst auf flachen, schattigen Pfaden, dann bergauf- und -ab wieder retour nach Novaggio.
In Sachen Transparenz: Wir bedanken uns bei Visit Ticino für die Unterstützung unserer Reise und bei AHM PR für die tolle Organisation (Werbung, da Pressereise). Wir stellen nur Hotels, Aktivitäten und Regionen vor, die selbst getetstet haben, die wir für familienfreundlich halten und auch Freunden empfehlen würden.