Von 1600 auf Null
Eine Reise von den Bergen ans Meer: vom malerischen Bergdorf im Wallis an die Küste der Adria. Ein Roadtrip mit zwei Mädchen, einem urigen Bergführer, einer Bootsfahrt, Pumabesuch und menschenleeren Stränden in Lignano. Die Eltern waren natürlich auch dabei.
„Von den Bergen bis ans Meer. Wie lang müssen wir da fahren?“, fragt die 10-jährige Laura ungeduldig. „Drei mal sechs Stunden!“, antwortet ihre ältere Schwester Sophia. “ Sechs Stunden in die Schweiz, sechs Stunden von der Schweiz nach Italien und dann wieder sechs Stunden nach hause.“ 18 Stunden, Oh Gott! „Aber nicht am Stück!“, versuche ich dem allgemeinen Quengeln am Start vorzubeugen und locke mit Aussichten auf die abwechslungsreichsten Ferien, die wir je erlebt haben werden: ein eigenes Chalet, Wandern, riesengroße Berge, Bergdörfer wie bei Heidi einerseits, und 4-Sterne- Hotel, Strand, Bootsfahrt und Shopping andererseits.
Abwechslungsreich ist bereits die Anreise von München ins Wallis. Bergpässe, lange Tunnel und eine Autoverladung durch den Furka. In letzter Sekunde erreichen wir den Verladebahnhof in Andermatt. Der letzte Zug fährt um 21.35 Uhr (!) durch den Berg. Eine enge, kurvenreiche Straße durch die Dunkelheit. Dann endlich sind wir auf 1600 Metern in Bellwald angelangt. Das Chalet „Bergtraum“ liegt unter wahrlich traumhaftem Sternenhimmel, wie ein Adlerhorst am Hang und erwartet uns wie ein echtes Zuhause mit warmem Fußboden, einem gemütlichen, modernen Wohnzimmer, einer perfekt ausgestatteten Küche und, welch Luxus, einer Sauna. Das Kaminfeuer ist schnell entfacht, die Mitternachtsspagetti auf dem Tisch und dann geht’s ab in die kuscheligen Betten. Und das Beste: Jedes Mädchen hat im oberen Stockwerk ein eigenes Zimmer mit Bad. Die Eltern haben ihre Ruhe im unteren Geschoss. Überall duftet es herrlich nach Zirbenholzmöbeln. Harmonie pur nach einer langen Reise!
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne, der erste Blick aus dem Fenster ist umwerfend! Vor uns die ganze Kette der Viertausender, rechts neben uns das schneeumzuckerte Weißhorn, auf dessen anderer Seite der längste Gletscher der Alpen, der Aletschgletscher liegt. Um uns herum grüne, mit wilden, weißen Krokussen übersäte Bergwiesen. Die nächsten Tage empfängt uns jeden Morgen dieser Anblick und abends sehen wir von unserer Bergtraum-Terrasse aus den Vollmond aufgehen. Dazwischen liegen Stunden voller Natur- und Kulturerlebnisse: Die Wanderung mit Bergführer Reinhard Bittel am 2875 hohen Risihorn zum Gletscherblick, dem mit der Bergbahn erschlossenen Hausberg Bellwalds, das Käse- Fondueessen, der Stadtausflug ins Städtchen Brig. Fragt man die Kinder nach dem Highlight, sind sich die beiden ausnahmsweise einmal einig: „Die Dorfführung mit Theophil!“. Der fast 90-jährige Theophil Bittel ist für die Mädchen seither die wahrhafte Verkörperung des Großvaters aus dem Heidi Roman. Er erzählt uns in seinem Oberwalliser Dialekt Geschichten, die wie Kapitel aus Johanna Spyris Buch klingen, aber von ihm selbst erlebt sind. Wenn er sich erinnert, wie er als kleiner Junge die Ziegen durch die engen Gassen des 350 Jahre alten Dorfkerns von Bellwald auf die Alm trieb, dann bleibt die Zeit stehen. Oder, dass man früher, bevor 1957 die Gondelbahn von Fürgangen nach Bellwald hoch fuhr, alles was man dort oben nicht anbauen konnte, auf dem Rücken hoch tragen musste. (Die Straße wurde erst 1972 erbaut), dann hängen die Kinder an seinen Lippen und staunen. Am Ende stellt er schließlich noch eine Quizfrage: „Wisst ihr wofür die breiten Steine unter den alten Speichern im Wallis sind?“ Keiner kennt die Antwort: „Sie verhindern, dass Mäuse und Ungeziefer in die Speicher gelangen“.
Nach sechs Tagen heißt es aufbrechen zu Teil „Zwei“ unseres Urlaubs. Auch wenn es erstmal schwerfällt das wunderschöne Chalet „Bergtraum“ hinter uns abzuschließen und über den berühmten Simplon Pass, auf dem schon die Römer und Napoleon reisten, in Richtung Italien aufzubrechen. Vorbei am Lago Maggiore, an Mailand und Verona. Endlich sind wir da- am Meer. Es ist die lange Landzunge, die sich in die Lagune von Marano erstreckt, die wir nach sechs Stunden erreichen. In Lignano Sabbiadoro, einem der ältesten Seebäder an der Adria in der Region Friaul tauschen wir nun Bergstiefel gegen Flip-Flops, Softshelljacken gegen T-Shirts und buchen uns in einem weiß renovierten Vier-Sterne Strandhotel mit Meerblick und Pool ein.
Einen Aperol Spritz an der Pool-Bar und einen ersten Strandspaziergang am acht Kilometer langen Sandstrand. Jetzt in der Vorsaison ist hier noch alles am Erwachen. Die Lidi eröffnen gerade ihre Strandbars, stellen peu a peu ihre Schirme auf. Alle sind guter Laune. „Das ist die schönste Zeit hier in Lignano, der Frühling und der Herbst“, sagt auch Luigi Sutto, der Presidente vom Tourismusverband Lignano Holiday. „Im Hochsommer stehen hier am Strand bis zu 18 000 Sonnenschirme. Dann ist es eigentlich zu voll.“
Jetzt, im Frühsommer ist es das besondere azurblaue Licht über der Lagune, das er uns zeigen will. Deshalb macht er uns am Yachthafen mit Andrea Chianolotto dem Capitano bekannt.
Auf seinem Boot zeigt er uns eine unbekannte Welt, fernab vom Tourismus: kleine Inselchen in der Lagune von Marano, auf die vor 100 Jahren die Fischer Schutzhütten aus Reed bauten. Heute dienen diese Privatleuten zum Feiern. Fisch wird hier direkt aus dem Naturschutzgebiet am Fiume Stella gefischt und kommt sofort auf den Grill. Wir sind Gäste auf so einem Fest mit Spagetti á la Vongole und frischen Sardinen. Der Veranstalter dieser Festa heißt Adriano Geremia. Seit drei Generationen gehört dieses Inselchen seiner Fischersfamilie. Jetzt spielt er Gitarre für seine Gäste, singt „Azurro“, der Wein fließt unbegrenzt und am Ende tanzen alle mit.
Auf dem Rückweg nach Lignano haben wir eine neue Kapitänin: Es unsere 10-jährige Laura, die uns in Andreas Boot bis in die Marina von Lignano zurückchauffiert. Andrea und Luigi ruhen sich derweil an Bord aus und geben uns Tipps was wir die Tage unternehmen könnten: eine Radtour zum wunderschönen Zoo zum Beispiel, wo es sogar Pumas und ein Löwenpärchen gibt, oder einen Kulturtrip ins nahe gelegene Aquileja, mit den Überresten der viertgrößten römischen Stadt und dem berühmten Mosaikboden in der Basilica aus dem 4.Jahrhundert. Im Anschluss daran passt ein Stadtbummel durch Trieste mit Einkehr in einem Kaffeehaus aus der, im Friaul, allgegenwärtigen K & K Monarchie-Vergangenheit.
Für heute entscheiden es natürlich wieder die Kinder: Muschelsuchen am Strand ist angesagt und dann Shopping in der drei Kilometer langen Fußgängerzone von Lignano. „Das sind die abwechslungsreichsten Ferien, die wir je hatten“, ist das Urteil der Beiden am letzten Tag – unisono. Laura wird es auch auf der sechsstündigen Heimfahrt nach München nicht langweilig: in allen Details plant sie schon ihren ersten Ferienjob – als Skipperin bei Andrea in Lignano Sabbiadoro.
Text: Sonja Vodicka
Bild: Nehro Karim-Vodicka
Infos:
Wallis: Wallis Promotion, rue Pre Fleuri 6, Postfach 1469, 1951 Sion, tel. 0041(0) 273273590www.wallis.ch, Buchung Chalet Bergtraum über www.bellwald.ch Preis ab 2.500 Franken/Woche in der Hochsaison; sonst 1.500 Franken/Woche.
Lignano: Lignano Vacanze, Via die Pini 55, 33054 Lignano Sabbiadoro (DU), Tel. 00390431423732, info@lignanoholiday.com, www.lignanoholiday.com Bootstouren in die Lagune mit Geremia: www.saturnodageremia.it. Es gibt in Lignano viele Übernachtungsmöglichkeiten z.B. in Ferienwohnungen, Villen und Bungalows (z.B. Los Nidos , Preis Bungalow für 4 Personen ab 57 Euro) , 13 300 Betten in 167 Hotels ( z. B. Hotel Miramare, Preis ab 69 Euro pro Person im Doppelzimmer, Kinderpreise auf Anfrage unterschiedlich je nach Saison, www.miramare.com ), sehr schöner Campingplatz: Sabbiadoro, Mobilheim für 4 Personen ab 52 Euro, Kinder gratis bis 8 Jahre),
Bootstour: Private Bootstouren mit Andrea Chiandotto buchbar über das Hotel Similian , Preis: ca. 50 Euro.